Literatur
KULTUR & DEMOKRATIE mit Dynamit von M. Matter
Datum | 01. August 2023 |
---|---|
Verfasser | VKZU |
Adresse | Bistro Philosophe, Regensbergstrasse 26, 8157 Dielsdorf |
Internet | www.kultur-zueri-unterland.ch |
ad minku ltur-zueri-unterlandch |
Beschreibung
1. Augustrede 2023 mit Dynamit von M. Matter
Geschätzte MitbürgerInnen und Mitbürger,
Werte Gemeindevertreter
Danke an die Gemeinde, dass ich als Neuzuzüger die Gelegenheit erhalte ein paar Worte an Sie zu richten. Allerdings wohne ich schon 42 Jahre hier. Bin pensioniert und parteilos, in keinem Verwaltungsrat und alles auswendig kann ich auch nicht, deshalb bitte ich sie um Verständnis.
Für den heutigen 1. August habe ich das Thema «Kultur & Demokratie» im Sinne eines gelingenden Zusammenspiels gewählt. Das ist meine, momentane Sichtweise und ich nehme kein Blatt vor den Mund. Meine Ausführungen sind eine Einladung zum Nachdenken um bewusster miteinander umzugehen.
«Kein Mensch ist eine Insel» - sagt ein Gedicht von John Donne - jeder ist Teil des Ganzen und daher: «frag nicht, für wen die Stunde schlägt, sie schlägt für dich.» Ob wir wollen oder nicht, Mensch + Natur + Wirtschaftlichkeit gehören miteinander verbunden. Wenn Handlungsbedarf besteht, dürfen wir das Nachdenken, bevor wir reagieren, nicht vernachlässigen. Wir leben ja nicht isoliert voneinander, sondern sind eingebettet in in unserem Umfeld.
Ich komme aus Bern habe mich schon als Jugendlicher sehr verbunden gefühlt mit Mani Matter’s Liedern. Hier ein Blick auf seine Auseinandersetzung mit der Demokratie.
«Dynamit» von Mani Matter
Einisch ir Nacht won i spät no bi gloffe
D'Bundesterrasse z'düruf gäge hei
Han i e bärtige Kärli atroffe
Und gseh grad, dass dä sech dert, jemers nei
Dass sech dä dert zu nachtschlafener Zyt
Am Bundeshus z'schaffe macht mit Dynamit
I bi erchlüpft und ha zuen ihm gseit: Säget
Exgüse, aber es gseht fasch so us
Wi dass dir da jitze würklech erwäget
Das grad id Luft welle z'spränge das Hus
Ja, seit dä Ma mir mit Für, es mues sy
Furt mit däm Ghütt, i bi für d'Anarchie
Was isch als Bürger mir da übrigblybe
Als ihm's probiere uszrede, i ha
Ihm afa d'Vorteile alli beschrybe
Vo üsem Staat, eso guet dass i cha
Ds Rütli und d'Freiheit und d'Demokratie
Han i beschworen, är sölls doch la sy
D'Angscht het mys Rednertalänt la entfalte
Chüel het dr Wind um üs gwäit i dr Nacht
Während ig ihm en Ouguschtred ha ghalte
Dass es es Ross patriotisch hätt gmacht
Zletscht hei dä Ma mini Wort so berückt
Dass är e Tränen im Oug het verdrückt
So han i schliesslech dr Staat chönne rette
Är isch mit sym Dynamit wieder hei
Und i ha mir a däm Abe im Bett en
Orde zuegsproche für my ganz allei
Glunge isch nume, dass zmonderischt scho
Über mi Red mir du Zwyfel si cho
Han ig ihm d'Schwyz o mit Rächt eso prise
Fragen i mi no bis hüt hindedry
Und no uf eis het dä Ma mi higwise
Louf i am Bundeshus sider verby
Mues i gäng dänke, s'steit numen uf Zyt
S'länge fürs z'spränge paar Seck Dynamit
Ich will mit einer Betrachtung der Beziehung zwischen uns Bürgern und dem Staat als Institution beginnen.
Ein Wort zu Anarchie und Demokratie
Der Gedanke der Anarchie war ursprünglich wie folgt definiert: Die Gesellschaft soll sich selber regeln in einer Ordnung ohne Herrschaft. Dieses Konzept wird aber als Bedrohung gesehen, weil ohne Staat und institutionelle Gewalt (Polizei, Militär) Unordnung und Chaos zu drohen scheinen. Die Demokratie ist eine Gemeinschaftsorganisation auf der Grundlage der Teilhabe Aller an der politischen Willensbildung.
Mani Matter verteidigt in seinem Lied unsere Demokratie, also die geregelte Organisation des Zusammenlebens, gegenüber einem zerstörerischen Chaos.
Der klassische Anarchist mit wirrem Haar und Dynamit in der Tasche hat seit langem, mehrheitlich ausgedient. Beim genauen Hinsehen, haben wir heute eine modernere Form des Anarchismus, eine Haltung des arglosen Profitierens. Ein Teil der Wirtschaft wehrt sich gegen alle staatlichen Eingriffe indem sie sagt, der Markt regelt das schon. Genau! Das wollten die Anarchisten auch: Alles selber regeln. Das Beispiel der Credit Suisse zeigt: der Markt regelt nix, gar nix! Im Gegenteil, der blanke Wildwest zerstört gesellschaftliche Grundwerte wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit.
Und nun ein paar Gedanken zur aktuellen Entwicklung ins Extreme
Das Konzept der wirtschaftlichen Globalisierung gehört auch in dieses Kapitel: Es bedeutet weltweit Geschäften, ohne dass ein Staat dem Tun Grenzen setzt und Verantwortlichkeiten einfordert. «Too big to fail” heisst eigentlich “too big to be controlled.” Also kann der Staat nur noch Reagieren, das gestaltende Element entfällt.
Das Tragische – oder sollte man besser sagen Toxische – an diesem Tun ist, dass es zu wenig durchdachte Gegenreaktionen gibt! Der Staat, als Garant gesellschaftlicher Mechanismen, baut immer rigidere Herrschafts- und Kontrollstrukturen aus. Er versucht nun, diesem Chaos mit einer Flut an Gesetzen und Kontrollen beizukommen.
Jeder, der ein Geschäft aufbaut weiss, alles braucht eine Bewilligung, tausend Formulare müssen ausgefüllt werden und natürlich Gebühren, Abgaben, Steuern. Und weil der Staat dem Bürger nicht mehr traut, wird er durch elektronische Überwachung gläsern gemacht.
Der Staat ist eigentlich im Dienst und zum Schutz des Bürgers gedacht. Aus meiner Sicht verhält sich der Staat jetzt aber so, als würden wir, die normalen, durchschnittlichen Bürger und BürgerInnen den Staat bedrohen. Aber bitte denken Sie daran: Der Staat sind wir!
Sind Ihnen schleichende Veränderungen auch aufgefallen?
Nehmen wir z. Bsp. das Gesundheitswesen. Es seien die masslosen Ansprüche der PatientInnen und Patienten, also von uns, welche die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Nicht etwa die unverschämte Geldgier der Gesundheitsindustrie. Die Prämien sind so hoch, weil wir gesund werden wollen, nicht etwa, weil die Pharmaindustrie drei-stellige Millionengewinne einstreicht. Das Gesundheitswesen hat sich in den letzten 30 Jahren vom «Dienst an der Gesundheit» zum «Verdienst an der Krankheit» entwickelt. Der Staat macht Medienmitteilungen und rudert im Nebel herum. Es ist Zeit nachzudenken!
Ein anderes Beispiel: Der «Service public» mutiert zu einem «Self service public» sichtbar bei der Post, SBB und deren Entwicklung. Kennen Sie das Gefühl der Hilfslosigkeit, wenn Sie vor dem Automaten stehen und dringend eine Fahrkarte benötigen, aber nichts funktioniert? Ein anderes Beispiel der hemmungslosen Kommerzialisierung ist die Vermarktung der Alterspflege. Eine immer absurdere Aufspaltung der Betreuungskosten und das Phänomen der Bedürfnisschaffung wie z. Bsp. einen immer höheren Anspruch an die integrierte Hotellerie, zielt m.E. vollständig am Menschen vorbei.
Oder das Beispiel eines Energieversorgers (mit 4 Buchstaben), welcher schlicht und ergreifend seinen Auftrag ignoriert auf Kosten des Volkes. Geht etwas schief stehen wir als Bürger gerade dafür. Wie wir es gerade bei diesem Energieversorger erleben (4 Mia. Rettungsschirm, aktuell 6 Mia. Gewinn und Strompreise die sich erhöhen).
Mit der zunehmenden Kommerzialisierung und Digitalisierung verlieren wir das persönliche Verantwortungsgefühl.
Das sind für mich schleichende Veränderungen und da braucht es uns, die Bevölkerung die hinschaut, reagiert und sich einsetzt.
Kennen Sie die Metapher «boiling the frog», den Frosch kochen?
Wenn ein Frosch plötzlich in kochendes Wasser getaucht wird, springt er heraus. Wenn der Frosch jedoch in kaltes Wasser gelegt wird, das dann langsam zum Kochen gebracht wird, erkennt er die Gefahr nicht und wird zu Tode gekocht. Diese Metapher wird für Menschen verwendet die unfähig sind auf finstere, allmählich auftretende Bedrohungen zu reagieren. Sie warnt das Kollektiv vor medialer Hypnose. Sie ruft auf, auch langsame Veränderungen bewusst wahrzunehmen, damit wir nicht eventuell unerwünschte Konsequenzen erleiden.
Ein Wort zu Verankerung der Verantwortung
In einer Zeit, wo wir immer grossräumiger leben, viele Agglodörfer zu Schlafstätten werden, ist das nicht so einfach. Die Begegnungen werden anonym und beliebig. Wir arbeiten nicht mehr da wo wir wohnen. Aber zusammen Wohnen und Leben, bedeutet auch zusammen Gestalten und gemeinsam die Verantwortung für das Gemeinwesen zu tragen. Wir kennen uns, deshalb gehen wir anders miteinander um. Eine wesentliche Möglichkeit der Gemeinden ist gemeinschaftliche Erlebnisräume wie Vereine, Konzerte, Theater, Sport etc. zu fördern und zu pflegen. Das empfinde ich zum Beispiel in Dielsdorf als eine sehr gelungene Angelegenheit.
In einer Demokratie herrscht freie Meinungsäusserung. Das kann nur in einer bewusst gelebten Kultur stattfinden. Diese treffen wir an am Küchentisch, in der Stammbeiz, aber auch an kostbaren Kulturorten wie zum Beispiel im «Teatro della Piazza» oder bei uns im Philosophe - Philosophe steht für «Kleinkunst, Film und Denkimpulse im Zürcher Unterland, ausdrücklich nicht «im Sinne des Mainstreams».
Als Menschen brauchen wir den Austausch mit den Anderen, sonst kommt uns die Lebendigkeit vollkommen abhanden.
Zurück zu Mani’s Lied.
Ein Wort zu Zivilcourage // Kultur lebt von Mut
Mani’s Quintessenz ist ein Appell an die Zivilcourage, d.h. nicht auf den Mund sitzen, sondern etwas sagen, statt unsichtbar zu werden und zuzuschauen.
Nachdenken - Wir haben Gesetze und die können wir ändern, wir haben Politiker und die können wir wählen oder eben nicht wählen! Wir können Stellung beziehen und Verantwortung übernehmen.
Hier bin ich über einen interessanten Hinweis gestossen, «Die Schweiz ist Dynamit im Herzen Europas», sagt Peter Sloterdijk (der Philosoph).
Ich zitiere:
«Bereits im Landesnamen der Schweiz, der Eidgenossenschaft, verbirgt sich das Geheimnis modernen Zusammenlebens. Denn eine Eidgenossenschaft sei im Kern eine Zusammenkunft von erwachsenen und freien Bürgern, die sich auf einer Lichtung treffen, um gemeinsam über die Formen des Zusammenlebens zu beraten. Die Schweiz ist in der Tat nicht, wie die meisten anderen Nationalstaaten Europas, als eine Kulturnation entstanden, sondern in der Tradition der mittelalterlichen Versammlungsidee verankert.»
Unsere Errungenschaften sollten wir nicht verlieren durch nicht Stellung beziehen, Mutlosigkeit und sich damit der Verantwortung entziehen.
Haben wir Respekt voreinander. Das ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Respekt heisst wertschätzen, zuhören können und andere Meinungen gelten lassen. Respekt ist wertlos, wenn er nur die Höflichkeit um der Höflichkeit willen widerspiegelt.
Ein paar Worte zu meiner Persönlichen Erfahrung
Als junger Elektro Ingenieur war ich sehr fasziniert von der Technik und ihren Möglichkeiten (Berechenbarkeit, Planbarkeit, Entwicklungs- und Kontrollmöglichkeiten). In meiner Wahrnehmung waren in den Erkundungsräumen keine Grenzen gesetzt und alles möglich.
Als Forschungs- und Entwicklungschef hatte ich das Privileg vor über 30 Jahren die Digitalisierung bei Studer Professional Audio umzusetzen.
Es war ein Aufbruch der viel versprach! Heute, im gesetzteren Alter kommen mir Zweifel (wie Mani Matter des Nachts) und ich habe einen distanzierteren Blick u. a. auf die Digitalisierung.
Im aktuellen Weltbild dominiert ein Zahlenfokus. Dieser ist analytisch, technisch, funktional mit abstrakten Zahlen statistisch beschrieben. Er ist berechenbar und planbar, fördert ein Schwarz-Weiss Denken, mit Geschäftsmodellen zu Gunsten weniger Einzelner, und wir schliessen uns dabei selber sukzessive aus. In der gelebten Wettbewerbsorientierung geht das Gemeinwohl verloren. Das teilt die Gesellschaft in einige Wenige die zu Viel haben, und viel zu Viele, die zu Wenig haben. Und das gefährdet unseren Sozialfrieden.
Mein grosses Anliegen ist:
Erinnern wir uns an das Menschsein
Mensch sein heisst:
Füreinander da sein, einander zuhören, mit dem Herzen verbunden sein, Toleranz zu sich und den andern zu üben. So entsteht kein S/W oder Gut/Böse Denken. Damit, sichern wir uns unseren geistigen Freiraum. Hierzu zitiere ich Antoine de St. Exupéry: «Eine Zivilisation gründet sich nicht auf den Gebrauch, den sie von ihren Erfindungen macht, sondern allein auf die Kraft, die sie zu diesen Erfindungen treibt».
Und … damit es uns allen gut geht - ist oft weniger mehr!
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Schweizerdeutsch)
Und der schönste Schlusspunkt setzt nun mein Wegbegleiter
Mani Matter
Damit’s am Schluss «eus aune guet geit»!
Mani Matter «dene wo’s guet geit»
Dene wos guet geit, giengs besser
Giengs dene besser wos weniger guet geit
Was aber nid geit, ohni dass's dene
Weniger guet geit wos guet geit
Drum geit weni, für dass es dene
Besser geit wos weniger guet geit
Und drum geits o dene nid besser
Wos guet geit
Dene wos guet geit, Giengs besser
Giengs dene besser wos weniger guet geit
Was aber nid geit, ohni dass's dene
Weniger guet geit wos guet geit
Drum geit weni, für dass es dene
Besser geit wos weniger guet geit
Und drum geits o dene nid besser
Wos guet geit
01.08.2023 Dielsdorf, Hans R. Hässig Tanner