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Kultur als Rezept gegen die Anonymisierung
Datum | 21. Dezember 2024 |
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Verfasser | VKZU |
Adresse | Zürcher Unterländer, Technoparkstrasse 5, 8401 Winterthur |
Internet | www.zuonline.ch |
re gionzu onlinech | |
Telefon | 044 854 82 82 |
Download | ZU_Kultur_als_Rezept_gegen_Anonymisierung.pdf |
Beschreibung
Harter Kampf um Aufmerksamkeit
Kultur sei das, was die Gesellschaft zusammenhalte, sagt Hans Hässig. Er ist Präsident eines neuen Vereins im Zürcher Unterland und will Menschen wieder zusammenbringen.
Martin Liebrich
Es klingt alles andere als optimistisch, wenn Hans Hässig über die Gegenwart spricht. «Wir leben in einer herausfordernden Zeit», sagt er. «Die Menschen sind überfordert von den vielen Eindrücken.» Die Geschwindigkeit, die Fragmentierung. Der kontinuierliche Blick aufs Smartphone. Auf diese Weise würden wir andere Eindrücke ausblenden. Und: «Keine Generation hat jemals so einen raschen Wandel mitgemacht.»
Hässig ist Präsident des Vereins Kultur Zürcher Unterland (VKZU), der sich neu aufgestellt hat. Nach den Problemen gefragt, mit denen die Kultur zu kämpfen hat, fährt er gleich weiter: «Die Menschen kennen die Bedienung ihres eigenen Smartphones besser als das eigene Umfeld, in dem sie wohnen.» Es sei eine Entsinnlichung, denn das Smartphone biete nur für die Finger etwas, für die Augen und allenfalls noch für die Ohren. Die Beziehungen würden dagegen anonymer, weil wir abgelenkt seien durch eine überladene Informationsflut oder eine verminderte Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Hans Hässig: «Kultur gibt Raum dafür, seine eigene Identität zu entwickeln.»
Diesem Tempo, der Zerstückelung der Gesellschaft und der Anonymisierung stellt Hässig die Kultur entgegen. Sie finde genauso wie das Leben lokal statt, also vor Ort anstatt in virtuellen Räumen. Sie braucht Zeit. Und sie fördert Begegnungen. Die Information, oder vielmehr den Austausch, bezeichnet er als «Klebstoff der Gesellschaft».
Eine Trennung von Kunst, Kultur und Mensch sei nicht möglich. Das heisst im Umkehrschluss: Der Mensch ist ein Kulturwesen. «Kultur gibt Raum dafür, seine eigene Identität zu entwickeln.» Dies im Gegensatz zur Wirtschaft, von welcher der Mensch auch losgelöst gesehen werden könne.
Verein, der die Lebensqualität verbessern will
Aus diesen Betrachtungen ergibt sich das, was sich der Verein Kultur Zürcher Unterland zum Ziel gesetzt hat. Nämlich die Lebensqualität aller in der Region zu verbessern. Mit Kultur will man den Gemeinsinn stärken und auch kleinräumig dafür sorgen, dass Leute miteinander reden «und vielleicht sogar Freundschaft entstehen kann». Falls nicht, sei das Ziel auch schon erreicht mit einer persönlichen Verbundenheit. Denn diese führe zu gesellschaftlichem und politischem Engagement. Der Weg zu diesem Ziel ist aber eher kurvenreich und versehen mit einigen Hindernissen. Die finanzielle Unterstützung für die Kultur schwindet, dafür gibt es immer mehr konkurrierende Angebote – nicht nur durch Smartphones.
Wobei Hässig beim Thema Aufmerksamkeit eine andere Sichtweise hat. Es werde heute sogar mehr Zeit für die Kultur aufgewendet, findet er. «Früher gab es die Oper, das Schauspiel, Cabaret, Konzerte, Film und Folklore. Heute existieren mehr Mischformen.» Er denkt da etwa an die Performancekunst von Marina Abramovic.
Auf lokaler Ebene war im Herbst beispielsweise «Zürich liest» ein Erfolg: In Dielsdorf kamen 150 Personen. «Und das unter der Woche auf dem Land!», freut sich Hässig.
Dennoch: Die lokale Kultur kämpft um Aufmerksamkeit und bekommt sie lange nicht immer. Das Resultat ist dann wenig Publikum. Aufgefangen werden kann das nur durch Freiwilligenarbeit. Sonst steht auf der Ergebnisseite der Gleichung am Ende ein Minus.
«Kultur an jeder Ecke – ähnlich wie in Venedig»
Im Fall des VKZU engagieren sich neben Hässig auch Felice Vögele und Adrian Bütikofer. Vögele war jahrzehntelang in der öffentlichen Verwaltung tätig, und das in allen Sektoren. Inklusive Kulturmanagement und Kulturvermittlung. Er ist unter anderem Mitbegründer des Festivals der Stille und Projektleiter Rollstuhlpilgerweg «Auf vier Rädern zur Schwarzen Madonna». Bütikofer arbeitet seit 1998 als freischaffender Künstler, bis 2004 in Dielsdorf, seither im Skulpturenpark in Steinmaur. Zuletzt hat er in Bad Ragaz an der Triennale ein Werk ausgestellt («Verrückte Welten»). «Ein Hauch von Leben» zeigte er in der Predigerkirche in Zürich und in der Heiliggeistkirche in Bern. Hans Hässig schliesslich engagiert sich seit Jahrzehnten für die Vernetzung und Förderung von Kunst und Kultur. Er ist unter anderem Präsident der Kulturinitiative Philosophe.ch und Präsident eben des VKZU.
Hässig sieht neben den Schwierigkeiten, die ihn und den VKZU herausfordern, aber auch das Positive. Kulturelle Hotspots gebe es im Unterland nicht. Aber dafür gebe es hinter jeder Ecke Kultur, «ähnlich wie in Venedig», wagt er einen Vergleich. «Es gibt spannende, schöne Geschichten und Orte zu entdecken.»
Und das klingt dann doch optimistisch.
Mehr Informationen zum Verein Kultur Zürcher Unterland:
www.kultur-zueri-unterland.ch
Hans Hässig (links) und Felice Vögele mit einem Stück Sokrates. Sie wollen mit Kultur im Zürcher Unterland die Gesellschaft stärken. Adrian Bütikofer arbeitet als freischaffender Künstler.
Fotos: Patrick Gutenberg